Auktion: 514 / Evening Sale am 11.12.2020 in München Lot 213

 

213
Gabriele Münter
Haus mit Schneebäumen in Kochel, 1908/09.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 250.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Haus mit Schneebäumen in Kochel. 1908/09.
Öl auf Malpappe.
Die Arbeit ist unter der Nachlassnummer L 485 bei der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung registriert. Verso eigenhändig bezeichnet "Kochel Winter 08-9". Verso mit einem Etikett mit der gestempelten Nummer "1294" sowie mit einem Etikett mit der gestempelten Bezeichnung "Eisenmann KG" und den handschriftlichen Bezeichnungen "6" und "4". 33 x 40,5 cm (12,9 x 15,9 in) [EH].

• Aus der künstlerisch wichtigen Zeit 1908/09, als Münter und Kandinsky nach Murnau zogen.
• Eine der seltenen Ortsansichten Kochels von Gabriele Münter.
• Aus dem Nachlass der Künstlerin
.

Mit einer Fotoexpertise der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung vom 11. November 2008.

PROVENIENZ: Nachlass der Künstlerin.
Kunsthandlung Resch, Gauting.
Privatsammlung (beim Vorgenannten erworben).
Privatsammlung (geerbt vom Vorgenannten).
Privatsammlung Süddeutschland (2008, Christie's).

AUSSTELLUNG: Gabriele Münter 1877-1962. Gemälde, Zeichnungen, Hinterglasbilder aus ihrem Besitz, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 22.4.-3.7.1977, Kat.-Nr. 18, Abb. S. 63.
Adolf Erbslöh der Avantgardemacher, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 11.4.-20.8.2017, S. 126 m. Abb.

LITERATUR: Peter Lahnstein, Gabriele Münter, Ettal 1971, Abb. 3.
Christie's, Auktion 25.6.2008, Los 568.

"Mittenwald war fein im Schnee! Dann per Schlitten nach Kochel!"
Aus einem Tagebucheintrag von Gabriele Münter, zit. nach Annegret Hoberg, in: Gabriele Münter. Die Jahre mit Kandinsky. Photographien 1902-1914, München 2007, S. 31.

Gabriele Münter malt ein Gartenbild: ein Stück einer mit Schnee dicht bedeckten Wiese vor einem eng gefassten, stark fokussierten Ausschnitt einer Fassade mit Spalier und geschlossenen Läden, eine darüber auszumachende Loggia, in der an einer Leine Wäsche und bunte Laternen hängen. Die rechts wie links der Fassade anschließenden Gebäudeteile bleiben im Ungewissen. Entlaubte und schneebedeckte Zweige an jungen Bäumen verdeutlichen die klirrende Eiseskälte. In leuchtendem Blau gehaltene Spuren im Schnee vertiefen den Eindruck einer umgehend wie emotional und direkt auf die Malpappe ausgeführten Szene. Auf der Rückseite ist vermerkt „Kochel Winter 08-09“.

Münter und Kandinsky in Kochel

Erst im Februar 1909 reisen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky nach Kochel und treffen den dort wohnhaften Komponisten und Musiker Thomas von Hartmann sowie dessen Frau Olga. Zwischen Kandinsky und Hartmann, mit dem dieser noch aus Moskauer Tagen bekannt ist, bahnt sich eine intensive Zusammenarbeit an: Erste Ideen zu Kandinskys Bühnenkomposition, in der Bewegung, Klang, Licht und musikalischer Ton eine abstrakte Synthese bilden sollen, werden zwischen den beiden diskutiert im tief verschneiten Kochel: „Im Februar fuhren wir zu Hartmanns nach Kochel“, schreibt Münter in ihr Tagebuch. „Wir fuhren erst Garmisch – von da Schlitten Mittenwald – wo wir im Hotel auch an seinen Compositionen schrieben (Mittenwald war fein im Schnee!) Dann per Schlitten nach Kochel! In Kochel so 14 Tage bei Hartmanns. Hartmann entwarf (sehr interessant sehr talentvoll) mit K. zusammen die Musik zu den ‚Riesen’.“ (Zit. nach Annegret Hoberg, in: Gabriele Münter. Die Jahre mit Kandinsky. Photographien 1902–1914, München 2007, S. 31.) Mit den "Riesen" erwähnt Gabriele Münter das Szenarium „Der gelbe Klang“, das Kandinsky aber erst 1912 mit der Bühnenmusik Hartmanns im Almanach "Der Blaue Reiter" veröffentlicht. Es stellt kein vollendetes Werk im herkömmlichen Sinne dar, sondern ist vielmehr sowohl Konzept als auch theoretisches Programm für ein Bühnenwerk. Die Handlungsträger sind namenlose, abstrakte Figuren: fünf Riesen, sogenannte undeutliche Wesen.

Vom Naturabmalen zum Abstrahieren

Eine von Kandinsky aufgenommene Fotografie zeigt Münter im Wintermantel beim Malen der „Grabkreuze in Kochel“ auf dem Friedhof der Kocheler Pfarrkirche. Das Arbeiten direkt vor der Natur unter freiem Himmel, die anti-akademische „Pleinair“-Malerei, gilt Kandinsky bereits bei der Gründung seiner eigenen Malschule Phalanx um 1901 als Grundbedingung künstlerischer Erfahrung. Gabriele Münter, damals Schülerin und später Lebensgefährtin Kandinskys, wird nach beider Rückkehr von ausgedehnten Reisen im Sommer 1908 nach München diese Praxis in beinahe allen gemeinsamen Murnauer Jahren fortsetzen. In Murnau ereignet sich im Herbst 1908 etwas Erstaunliches, als Kandinsky, Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin sich, nach langen Aufenthalten vor allem in Italien und Frankreich, in diesem oberbayerischen Ort treffen und malen: ein künstlerischer Umbruch, eine radikale Abkehr vom impressionistischen und spätimpressionistischen Malstil und eine Hinwendung zu einer synthetischen, expressiven Farbmalerei.

„Ich habe da nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht – vom Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts – zum Abstrahieren – zum geben eines Extraktes“, schreibt Gabriele Münter rückblickend 1911. Mit dem Gemälde „Haus mit Schneebäumen“ zeigt die Künstlerin, mit welch radikalen Möglichkeiten sie das Gesehene individuell umformt und bei einer nahezu perspektivlosen Raumauffassung zu aufregenden Farbkompositionen gelangt: Das in kontrastreichen Farbflächen angelegte Motiv ist von farbigen Konturen strukturiert, die auffallende Fassade mit Spalier im Zentrum der Komposition ist ‚gerahmt’ von kühnen Farbnuancen, emotionale Empfindungswerte zwischen Gelb und Grün, Rot und Blau gemischt. Vergleicht man Gemälde Münters und Kandinskys miteinander, so fällt ihre große Ähnlichkeit auf; zu keiner anderen Zeit ist sich das Künstlerpaar so nahe wie in den ersten Murnauer Jahren. [MvL]



213
Gabriele Münter
Haus mit Schneebäumen in Kochel, 1908/09.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 250.000

(inkl. Käuferaufgeld)