Lexikon
Jugendstil und Art Nouveau

Der Jugendstil ist als Reaktion auf den im 19. Jahrhundert dominierenden Historismus und als unmittelbarer Vorläufer der modernen Avantgarde zu verstehen. Seine Blütezeit ist um 1900 anzusiedeln, obwohl er aus der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung der 1880er Jahre entstanden ist. Trotz seiner internationalen Ausrichtung ist der Jugendstil von vielen nationalen Besonderheiten geprägt, die bereits an der Vielfalt seiner landesspezifischen Bezeichnungen erkennbar sind: Jugendstil im deutschsprachigen Raum, Art Nouveau in Frankreich, Modern Style in England, Liberty in Italien und Modernismo in Spanien. Viele Jugendstil-Künstler waren thematisch vom Symbolismus geprägt, bedienten sich aber einer moderneren Formensprache. Zudem sind viele avantgardistische Bewegungen, wie etwa der Expressionismus, ohne den Jugendstil undenkbar.
Die Verbindung von Kunst und Leben ist ein wesentliches Stichwort zur Charakterisierung dieser Bewegung, womit in erster Linie die Ästhetisierung des alltäglichen Lebens durch die Reform des Kunsthandwerks gemeint ist. Auf Industrialisierung und Massenproduktion sowie auf den als anachronistisch empfundenen Historismus reagierte der Jugendstil mit der Forderung nach einem traditionellen Handwerk nach mittelalterlichem Vorbild sowie mit einer zeitgemäßen, durch die Natur inspirierte Formensprache. Allerdings sind auch die etablierten Kunstgattungen - Malerei, Skulptur und Architektur - vom neuen Denken betroffen, denn die Kunst wurde unter dem Primat der Einfühlungstheorie als (Nach-)Erleben verstanden. So ging jedes Kunstwerk ein intimes Verhältnis mit dem Betrachter auf der Basis seines eigenen Lebens ein.
Eine geeignete Ausdrucksform dieser Ästhetik fand der Jugendstil im Ornament. Dominierende Motive sind vor allem verspielte, organische Formen. Dabei wird nicht die Natur in ihrer Erscheinungsform nachgeahmt, sondern ihre Bildungsgesetze, wonach sich die Fantasie des Künstlers richten soll.
Zu den zahlreichen wichtigen Künstlern des Jugendstils zählen William Morris, Aubrey Beardsley, Alfons Maria Mucha, Victor Horta, Henry van de Velde, Hermann Obrist, August Endell, Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok, Joseph Maria Olbrich und Antoni Gaudí.