Lexikon
Österreichischer Expressionismus

Die Entstehung und Verbreitung des Expressionismus in Österreich ist von den konkreten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umständen der k. u. k. Monarchie geprägt. Deswegen unterscheidet sich der österreichische Expressionismus vom deutschen in einigen wesentlichen Punkten.
Die Geburtsstunde des österreichischen Expressionismus kann nicht mit Gewissheit festgelegt werden, denn die jungen Expressionisten vollzogen keinen Bruch mit der älteren Generation; vielmehr ist eine fruchtbare Kontinuität festzustellen, woraus die künstlerischen Neuerungen langsam hervorgegangen sind. Darüber hinaus zeigt das Werk der Expressionisten einen Hang zum Symbolischen, das bereits bei der Wiener Secession eine wichtige Rolle gespielt hatte und nun in einer zwar unmittelbareren, aber doch verschlüsselten Form auftritt.
Ein Leitthema des österreichischen Expressionismus ist die Frage nach der Identität. Die ethnische Vielfalt in der österreichischen Monarchie, die verspäteten, aber umso stärker ausgeprägten Folgen der Industrialisierung und die daraus folgende gesellschaftliche Entfremdung des modernen Menschen trugen zur Hinterfragung herkömmlicher Identitätsmodelle bei. Auch die wissenschaftliche Widerlegung tradierter Welterklärungen und die damit verbundene Krise der Religion verliehen der Frage nach der eigenen Stellung in der Welt eine virulente Aktualität, die im kulturellen Leben Österreichs tiefe Wurzeln schlug.
Mit dieser Problematik setzte sich der österreichische Expressionismus auseinander. Daraus erklärt sich die zentrale Rolle der Selbstporträtierung und der Körperdarstellung im Werk der wichtigsten österreichischen Expressionisten. Dadurch wird allerdings nicht nur eine zerrissene Identität bekundet, sondern auch der gescheiterte Versuch, die verlorene Ordnung wiederherzustellen.
Die überdurchschnittliche Anzahl expressionistischer Porträts in Österreich verdeutlicht auch eine weitere Eigenart des österreichischen Expressionismus. Im Gegensatz zu Deutschland gab es in der k. u. k. Monarchie kein ausgebautes Netz von Galeristen, die sich für die Moderne einsetzten. Die Künstler standen somit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Mäzenen, was die größere Nachfrage nach Bildnissen erklärt. Dadurch intensivierte sich auch die Anziehungskraft Wiens für die Künstler, denn nur dort konnten die nötigen Kontakte geknüpft werden. Dieser Zentralismus prägte das kulturelle Leben des Landes und somit auch den österreichischen Expressionismus. Auch wenn einige Künstler wie Egon Schiele (1890-1918) manchmal versuchten, abseits der Großstadt zu leben, mussten sie entweder zurückkehren oder - wie der Oberösterreicher Alfred Kubin (1877-1959) - im Ausland Unterstützung suchen. Diese Lage änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg und mit dem Ende der Donaumonarchie. So genossen Vertreter des späten österreichischen Expressionismus - wie die Künstler des Nötscher Kreises - eine größere Bewegungsfreiheit.
Weitere Vertreter des österreichischen Expressionismus sind Richard Gerstl, Arnold Schönberg, Oskar Kokoschka, Max Oppenheimer, Albert Paris Gütersloh, Anton Faistauer, Franz Wiegele, Anton Kolig und Felix Albrecht Harta.