Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 16


16
Karl Schmidt-Rottluff
Verschneite Schonung, 1964.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 203.200

(inklusive Aufgeld)
Verschneite Schonung. 1964.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert. Auf dem Keilrahmen signiert, betitelt und mit der Werknummer "641" bezeichnet. 76,8 x 101 cm (30,2 x 39,7 in).
Die zu dieser Arbeit korrespondierende, gleichnamige farbige Kreidezeichnung aus den 1940er Jahren (ebenfalls aus der Sammlung Hermann Gerlinger) wird in unserem Modern Art Day Sale am Samstag, 8. Juni 2024, angeboten. [CH].

• Eines der letzten Gemälde des Künstlers, bevor er das Malen in Öl noch im selben Jahr aus gesundheitlichen Gründen aufgibt.
• Eines der wenigen Gemälde, mit denen Schmidt-Rottluff einzelne seiner in den 1940er Jahren vollendeten farbigen Kreidezeichnungen in imposante Darstellungen in Öl übersetzt.
• Durch die kühle, kräftige Farbpalette, die reduzierte Formensprache und unwirkliche Wolkenformationen erzeugt er eine Komposition von mystisch-rätselhafter Ausdruckskraft.
• Mit dem Motiv der dunklen, vor dem farbigen Himmel emporragenden Bäume greift Schmidt-Rottluff noch einmal ein Motiv aus der Hochzeit seiner expressiven Landschaftsmalerei und seines grafischen Kunstschaffens auf
.

Die Arbeit ist im Archiv der Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin, dokumentiert.

PROVENIENZ: Galerie Günther Franke, München (auf dem Keilrahmen m. d. Galerieetikett).
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel, Lugt 6032).

AUSSTELLUNG: Große Kunstausstellung, Haus der Kunst, München, 9.6.-25.9.1966, S. 128, Kat.-Nr. 842 (m. Abb., auf dem Keilrahmen m. d. Etikett).
Karl Schmidt-Rottluff zum 100. Geburtstag, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, 3.6.-12.8.1984, Kat.-Nr. 77 (m. Abb., auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).
Karl Schmidt-Rottluff. Retrospektive, Kunsthalle Bremen, 16.7.-10.9.1989; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 27.9.-3.12.1989, S. 288, Kat.-Nr. 342 (m. Abb., Tafel 116).
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR: Heinz Spielmann (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 431, SHG-Nr. 780 (m. Farbabb.).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 133, SHG-Nr. 302 (m. Farbabb.).
Magdalena Moeller (Hrsg.), Ausst.-Kat. Karl Schmidt-Rottluff. Die Berliner Jahre 1946-1976, Brücke-Museum Berlin, Berlin 2005, S. 31.
Katja Schneider, Moderne und Gegenwart. Das Kunstmuseum in Halle, München 2008, S. 118 f. (m. Abb., S. 119).

Ab den 1930er Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sieht sich Karl Schmidt-Rottluff mit großen Unwägbarkeiten konfrontiert. Ab 1933 wird seine Kunst durch die nationalsozialistische Kunstpolitik als "entartet" diffamiert, seine Werke werden aus den deutschen Museen entfernt und einige seiner Arbeiten 1937 in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München verhöhnt. Im April 1941 wird er aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und mit einem Malverbot belegt. Trotzdem arbeitet Schmidt-Rottluff weiter: Gezwungenermaßen widmet er sich fortan insbesondere der Aquarelltechnik sowie farbigen Kreidezeichnungen wie der ebenfalls bei uns angebotenen Arbeit "Verschneite Schonung" aus den frühen 1940er Jahren (8. Juni, Modern Art Day Sale, Los 477, Sammlung Hermann Gerlinger). Auch in diesen Techniken kann Schmidt-Rottluff sein großes künstlerisches Können zur Darstellung bringen. Im Herbst 1943 zerstört ein Bombenangriff sein Atelier und seine Wohnung in Berlin. Von Rumbke aus kehren Schmidt-Rottluff und seine Frau Emy nach Chemnitz-Rottluff in das Elternhaus des Künstlers zurück, wo sie bis Ende 1946 leben. Hier entsteht diese Farbkreidezeichnung mit dem emotional aufgeladenen landschaftlichen Motiv seiner Heimat in Rottluff. Mit dem Motiv der dunklen, vor dem farbigen Abendhimmel emporragenden Bäume greift Schmidt-Rottluff noch einmal ein Motiv aus der Hochzeit seiner expressiven Landschaftsmalerei und seines grafischen Kunstschaffens auf, das er mit einer besonderen, zarten Farbigkeit, mit starken Konturen und der Betonung auf einzelne, auffällige Formenkompositionen zu einer spannungsreichen Stimmungslandschaft zusammenfügt.

Auch die Nachkriegszeit stellt den Künstler vor weiterhin große Herausforderungen. In einem Brief an den Künstler Curt Stoermer schreibt er im Jahr 1945: "Es verblieb nur ein unvorstellbares Chaos, das einigermaßen zu beseitigen die letzten Kräfte kostete. Wir gehörten zwar zu den Überlebenden, aber viel ist sonst nicht übrig." (zit. nach: Gunther Thiem (Hrsg.), Schmidt-Rottluff. Retrospektive, München 1989, S. 100). Die Situation verbessert sich, als der Künstler eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Charlottenburg annimmt und 1946 nach Berlin zurückkehren kann. Er arbeitet an neuen Werken, in denen er motivisch an seine expressionistische Phase anknüpft. Den im Nachkriegsdeutschland vorherrschenden abstrakten Tendenzen steht Schmidt-Rottluff skeptisch gegenüber, er selbst bleibt der gegenständlich-narrativen Malerei verhaftet und schöpft Inspiration aus der Natur und seiner alltäglichen Umgebung. In den Nachkriegsjahren kann er nun endlich wieder der üppigen, farbstarken Ölmalerei frönen und entdeckt – womöglich in Erinnerung und während der andauernden geistigen und seelischen Verarbeitung der Kriegsjahre – in seiner so prägnanten farbigen Kreidezeichnung aus den 1940er Jahren das künstlerische Potenzial für eine Umsetzung in Öl: Etwa 20 Jahre nach der Zeichnung entsteht die "Verschneite Schonung" 1964 in Öl auf Leinwand. Es handelt sich dabei um eines der sehr wenigen Gemälde, mit denen Schmidt-Rottluff einzelne seiner in den 1940er Jahren vollendeten farbigen Kreidezeichnungen in imposante Darstellungen in Öl übersetzt.

Karl Schmidt-Rottluff ist ein langes, aktives Künstlerleben beschieden und auch sein Spätwerk verfügt über eine bemerkenswerte künstlerische Präsenz. "Immer wieder muß die Welt neu gesehen werden, neu gedeutet werden und jeder muß seinen Teil dazu beitragen – es ist also kein Anlass zum Aufgeben", erklärt der Künstler 1951 (zit. nach: C. Remm, "Immer wieder muss die Welt neu gesehen werden", in: Karl Schmidt-Rottluff. Die Berliner Jahre 1946-1976, hrsg. v. M. M. Moeller, Brücke-Museum Berlin, München 2005, S. 32). Anknüpfend an seine expressionistische Farbpalette der Vorkriegsjahre und der "Brücke"-Zeit, bringt Schmidt-Rottluff die Farbe in seinem späten Schaffen noch einmal zum Leuchten (vgl. Magdalena M. Moeller). Die späteren Farbwelten zeugen von einer Kraft kühner Entscheidung und jugendlicher Energien. In ihrer Reinheit, Intensität und leuchtenden Strahlkraft stehen die Farben im Vordergrund und bestimmen sowohl Komposition als auch Bildwirkung, was sich auch in der hier angebotenen Arbeit offenbart. Nur der mit Schnee bedeckte Hang bildet das Gegengewicht zu dem kräftigen Kolorit der restlichen Darstellung. Neben der Farbe sind es die flächige Malweise und die Form, die durch ihre Klarheit, einen stärkeren Grad an Abstraktion und die Verbindung einzelner prägnanter Gebilde mit großen, offen gehaltenen Flächen eine außergewöhnliche Modernität evozieren. Auf diese Weise stellt Schmidt-Rottluff hier mit kühlem, kraftvollem und kontrastreichem Kolorit, spannungsvollem Kalt-Warm-Kontrast, starken Konturen sowie der Gegenüberstellung von weichen, geschwungenen und kantigen, reduziert-abstrahierten Formen sein reifes Können zur Schau und schafft ein Werk von mystisch-rätselhafter Ausdruckskraft. Noch im selben Jahr beendet Schmidt-Rottluff das Malen mit Ölfarbe, sodass es sich hierbei um eines der letzten Gemälde des großen Expressionisten handelt. [CH]



16
Karl Schmidt-Rottluff
Verschneite Schonung, 1964.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 203.200

(inklusive Aufgeld)